statusCHECK Nachhaltigkeit 2013: Christliche Initiative Romero
Autor: ChristianDie Anhebung der Löhne muss endlich auch zentrales Anliegen von Unternehmen werden
Interview mit Kirsten Clodius, CIR
Outdoor-Test: Sie sprechen davon, dass die Herausforderung praktikabler Lösungen zur Anhebung der Löhne in den Zulieferbetrieben besteht. Können Sie einen kurzen Status hierzu geben und die aus Ihrer Sicht notwendigen Schritte aufzeigen?
Kirsten Clodius: Die Anhebung der Löhne der NäherInnen in den Fabriken der Billiglohnländer lässt sich natürlich nicht schnell und einfach durchführen. Es sind viele Faktoren, die zusammenkommen und das Ganze verkomplizieren. Eine einheitliche Lösung, wie es die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns wäre, ist einfach nicht realistisch. Zudem versuchen die Regierungen von Produktionsländern gesetzliche Regulierungen so unternehmerfreundlich wie möglich zu halten, um das Land attraktiv für Kapitalanleger zu gestalten. Die wenigen Lohnerhöhungen sind daher oft gerade einmal ausreichend, den Kaufwertverlust der Inflation abzufangen, mehr nicht. Das bezieht sich nicht explizit auf die Bekleidungsindustrie, sondern betrifft praktisch alle Wirtschaftszweige. Nur: Die Anhebung der Löhne muss endlich auch zentrales Anliegen von Unternehmen werden, vor allem, wenn sie sich glaubhaft und ehrlich im Bereich von unternehmerischer Sozialverantwortung engagieren. Sich aber nach Außen mit Nachhaltigkeitsstrategien und gut publizierten Aktionen als ökologischer oder sozialer Wohltäter zu verkaufen, aber gleichzeitig in der Produktion die ArbeiterInnen unmenschlich auszubeuten – nur, weil es alle andere genauso tun – das darf so nicht weitergehen.
Outdoor-Test: Was sind aus Ihrer Sicht die Probleme bei der Umsetzung?
Kirsten Clodius: In den meisten Zulieferbetrieben wird für mehrere Marken und Unternehmen zur gleichen Zeit produziert. Die NäherInnen arbeiten also an unterschiedlichen Aufträgen, führen aber die gleichen Tätigkeiten aus und erhalten auch den gleichen Lohn. Sollte sich eine Marke entscheiden, für den Auftrag mehr Geld zu bezahlen, um den ArbeiterInnen ein höheres Auskommen zu ermöglichen, bedeutet dies für den Zulieferbetrieb eine enorme Herausforderung. Allerdings fürchten Unternehmen per se um ihre Konkurrenzfähigkeit, wenn sie für ihre Aufträge „freiwillig“ mehr anbieten. Der Verkaufspreis eines T-Shirts bei uns im Laden würde theoretisch – rein rechnerisch – nur geringfügig höher, wenn die Näherinnen dafür mehr Lohn erhielten. Geht man von einem Anteil von 1% Lohnkosten aus, die für die Produktion eines T-Shirts anfallen, das bei uns 10 € kostet, entspräche die Verdoppelung des Lohns gerade einmal 10 Cent mehr im Endpreis! Aber der Verkaufspreis im Geschäft errechnet sich durch eine Vielzahl an Faktoren während der gesamtem Produktions- und Lieferkette. Eine ganze Reihe von Akteuren verdient während der Kette prozentual zum Produktionspreis und der Verkaufspreis verändert sich. In unseren Augen liegt die Verantwortung bei den Unternehmen und der Wirtschaft, gemeinsam mit ihren Zulieferbetrieben und – soweit wie möglich – mit allen anderen am Produktions- und Lieferprozess beteiligten Stakeholdern ein System zu probieren, das es ermöglicht, im Zulieferbetrieb einen höheren Anteil für Löhne und Gehälter zu zahlen, ohne dass der Verkaufspreis stark verändert wird. Das Schwierigste ist aber wohl, dass aus Furcht vor Wettbewerbsnachteilen und langfristig schwindender Konkurrenzfähigkeit hier kein Unternehmen eine freiwillige Vorreiterrolle spielen möchte.
Erfreulicherweise gibt es bei einigen Outdoorherstellern die Bereitschaft, sich der Herausforderung zu stellen und gemeinsam mit der FairWear-Foundation ein Pilotprojekt zu existenzsichernden Löhnen durchzuführen. Das begrüßen wir sehr und es zeigt wieder einmal mehr, wie gewinnbringend die Mitgliedschaft von Unternehmen in Multistakeholder-Initiativen ist, die sich mit konkreten Projekten in der Praxis ernsthaft für langfristige Verbesserungen der momentan miserablen Arbeitsbedingungen einsetzen.
Outdoor-Test: Wir vermuten, dass das Thema Nachhaltigkeit in der textilen Produktion für den Großteil der Konsumenten nach wie vor keine Rolle spielt. Wie kann es speziell die Outdoor-Branche schaffen, dass Thema dem Konsumenten näher zu bringen?
Kirsten Clodius: Das Thema Nachhaltigkeit wird zum Glück immer wichtiger für die KonsumentInnen. Viele KäuferInnen von Outdoormode lieben Funktionskleidung, um dem Wetter zu trotzen und draußen zu sein. Einige haben dabei bestimmt ein ausgeprägtes Gespür für Natur, Ökologie und Nachhaltigkeit. Sie reagieren daher auf Botschaften in dieser Richtung empfänglicher. Auch wenn die soziale Nachhaltigkeit noch viel zu wenig im Mittelpunkt steht, stehen die Themen ja in engem Zusammenhang. Die Outdoorbranche könnte folglich über Werbebotschaften in Verbindung mit Natur, nachhaltigem Lifestyle etc. das Thema der sozialen Nachhaltigkeit noch stärker forcieren, um die Themen in den Köpfen der KonsumentInnen anzuregen. Natürlich sehen wir bei solchen Werbestrategien aber auch die Gefahr, dass es letztendlich schnell zu einem „Greenwashing“ kommen kann. In letzter Zeit bemühen sich ja viele der Marken um ein möglichst nachhaltiges Image, hier ist sehr viel in Gang gekommen. In erster Linie natürlich aufgrund des Interesses der Marken, sich vorteilhaft zu präsentieren und sich zu bewerben, mit dem Ziel den Verkauf zu steigern und den Gewinn zu erhöhen. Bewusstseinsarbeit und Sensibilisierung der KonsumentInnen steht dabei sicher nicht im Vordergrund. Es dürfen hier keine leeren Versprechungen ohne tatsächliche konkrete Anstrengungen für eine sozial-und ökofaire Produktion kommuniziert werden; wir wollen keine Augenwischerei allein durch die Nennung möglichst vieler Schlagwörter und eigener, modern vermarkteter, aber wirkungsloser sogenannter Sustainability-Programme.
Als wir vor ein paar Jahren öffentlich feststellten, dass teure Outdoormode nicht unbedingt fair oder nachhaltig ist, und der teure Preis nichts mit einem ausreichenden Gehalt der NäherInnen zu tun hat, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Branche. Für einige Unternehmen war dies aber tatsächlich der Auslöser, sich intensiver mit dem Thema zu beschäftigen. Es bleibt aber weiterhin die Frage, wie hoch der Preis für NäherInnen ist, einen Arbeitsplatz in der Bekleidungsproduktion für Outdoormode zu haben: Ist es Fluch oder Segen vor dem Hintergrund extremer Armut trotz einer Vollzeitstelle, dem enormen psychischen Druck in der Fabrik, kaum Geld für Wohnen, Essen, Gesundheit und die Bildung der Kinder. Da ist noch jede Menge zu tun!