Sicher unterwegs – Strategien für richtiges Entscheiden bei der Planung und im Gelände
Autor: Dr. Tobias BachDer Planungs-Dreischritt G-M-G: Wahl des Gebietes, Tourenplanung für morgen, anpassen im Gelände.
Gebietswahl
Wer flexibel ist, sollte nicht Monate vorher eine Unterkunft buchen. Wie zu Winterbeginn an dieser Stelle beschrieben („Wo ist der beste Schnee?“) tut der Schnee es auch nicht. Ein häufig übersehener Aspekt in der Vorbereitung ist der Hüttenzustieg. Dieser führt mitunter durch lawinengefährliche Abschnitte. Sie werden von zusteigenden Gruppen mitunter ignoriert, denn der Druck „zur Hütte zu müssen“ ist groß. Also sollte der Zustieg entweder auch bei angespannter Lawinensituation zu machen sein oder gefährliche Abschnitte müssen penibel auf Grundlage des Lawinenlageberichtes (i.F. LLB) geplant werden. Es ist eine normale Tour! Dazu ist natürlich nötig, im Hellen aufzusteigen, da man im Dunkeln die Hänge im Einzugsbereich nicht sieht. Wer zu Ferienbeginn morgens in Köln startet, wird in Südtirol wohl nicht im Hellen aufsteigen.
Habe ich alles?
Für Gelegenheits-Schneesportler sind Packlisten hilfreich, die man, einmal selbst erstellt, jeden Winter wieder nutzen und verändern kann (Irgendwann muss dann halt auch Kukident drauf – apropos: Kukident oder Correga Tabbs entfernen den Kaffeegeschmack aus Thermoskannen!). Das essentielle Material ist auf seine Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Bei geführten Touren kommt es immer wieder vor, das Gäste ein VS-Gerät aus der Tasche ziehen, welches 1 Jahr mit Batterien in der Garage lag. Diese sind dann vor lauter Langeweile ausgelaufen. Weitere interessante Fragen: Kleben die Aufstiegsfelle noch? Ist der Belag einigermaßen „im Wachs“ (ein Artikel zur Skipflege folgt im Februar)? Gibt es noch Kanten? Funktioniert die Stirnlampe? Ist die Bindung auf meinen korrekten Z-Wert eingestellt? Ist mein Rucksack, den ich am Auto packen will, überhaupt groß genug für mein Vorhaben? Bei Skihochtouren in vergletscherten Gebieten: Habe ich Gletscherausrüstung dabei und weiß ich damit umzugehen? Habe ich die erforderlichen Orientierungsmittel (Führer, Karten, Kompass, Planzeiger zur Neigungsmessung, evtl. funktionstüchtiges GPS-Gerät)?
Tourenplanung für morgen – der nächste Tag
Grundlage jeder Tourenplanung ist der tagesaktuelle LLB. Hängt dieser nicht aus, kann er auch über SMS, Telefon, Fax oder Internet abgerufen werden. Wer Monate zuvor einen Stützpunkt buchen muss hat hoffentlich auch Touren/Varianten im Gebiet, die bei angespannter Lawinensituation noch zu machen sind. Ein guter Berater ist oft der Hüttenwirt oder anwesende Bergführer – hab keine Scheu, diese anzusprechen – es kann Dein Leben retten! Die detaillierte Tourenplanung mit LLB, Karte, Neigungsmesser, Bleistift und Radiergummi kann nur in einem Kurs (Alpenverein, Bergschulen) erlernt werden. Gemeinsam eine Tour für den Folgetag beim Bier zu planen macht Spaß. Der Erfahrenste sollte dabei die Führung übernehmen (wie auch unterwegs), die Bedürfnisse und Fähigkeiten der anderen aber sensibel aufnehmen. Auch für solide Skibergsteiger macht es beispielsweise keinen Sinn, am ersten Tag gleich mal eine Tour mit 1600 Höhenmetern anzugehen. Die meisten werden sich Blasen laufen und dann an den Folgetagen nachlassen statt sich zu steigern. Von solchen Regeln gibt es natürlich auch Ausnahmen – etwa wenn ab Übermorgen eine Schlechtwetterfront kommt. Dann heißt es rödeln und anschließend im Schneegestöber LVS-Suche üben, Schneehöhle graben, Biwakverschnürung basteln… es gibt immer was zu tun!Ein wichtiger Aspekt der Tourenplanung für morgen ist eine der Gruppe angemessene Zeitplanung und das Vereinbaren von Checkpunkten: Dies sind sichere Stellen im Gelände, wo man einen fraglichen Geländeabschnitt sehen und beurteilen kann. Denn die Schnee- und Geländesituation im Einzelhang kann deutlich von LLB und Kartenbild abweichen. Diese Checkpunkte müssen gemeinsam festgelegt und eingehalten werden. Vor Ort muss dann entschieden werden, welches Verhalten passt (siehe nächster Abschnitt).
Tourenplanung im Gelände anpassen: Der Einzelhang
Es gibt heute verschiedene Planungshilfen für zuhause und unterwegs (Snowcard von Engler/Mersch, 3×3-Methode von Munter) welche den Umgang mit der komplexen Thematik erleichtern und strukturieren. Darüber dürfen jedoch nicht die wertvollen Zusatzinfomationen des LLB untergehen. „Zusatz“ deshalb, weil es sich um Informationen handelt, die über die bloße Gefahrenstufen hinaus gehen. Der LLB nennt explizit die gefährlichen Bereiche nach Steilheit, Höhenlage, Exposition und Geländeform. Bewegt sich die Tour nur im roten Bereich, dann ist sie wohl für heute falsch ausgewählt. Gibt es ein paar Stellen, wo man nicht ganz sicher ist, braucht es die genannten Checkpunkte. Dort wird Schneequalität und Menge, aber auch die tatsächliche Geländeform ins Kalkül gezogen. Kleinere Steilaufschwünge sind auch auf der Karte mit Maßstab 1 : 25000 nicht zu erkennen! Schneebretter, die einen Menschen ganz verschütten können haben mitunter nur eine Fläche von 10×10 Metern.
Nach Beurteilung der Situation vor Ort gibt es vier Handlungsalternativen:
– Kann ich den Hang als Gruppe begehen/befahren?
– Sind Entlastungsabstände zur Schonung der Schneedecke nötig?
– Sollte der Geländeabschnitt zur Schadensbegrenzung nur einzeln begangen/befahren werden?
– Kann der Abschnitt umgangen werden?
– Oder muss ich gar umkehren?
Ich gebe zu, das mit der „Schadensbegrenzung“ klingt zynisch. Aber eine Einzelverschüttung ist für eine erfahrene Gruppe in überlebenswahrscheinlicher Zeit zu lösen. Eine Mehrfachverschüttung nicht. Diese Handlungsalternativen müssen wirklich sauber durchgezogen werden. Eine „Befahrung mit Entlastungsabständen“ verpufft, wenn jemand stürzt und ihm dann drei andere helfen, den Ski zu suchen! Zumal die Belastung der Schneedecke noch größer ist, wenn man zu Fuss unterwegs ist (man dringt dann tiefer ein). Um die Schneedeckenstabilität vor Ort zu überprüfen, braucht es sehr viel Wissen und Erfahrung. Auch Bergführer nutzen dieses Wissen nur, um Ihr Bild abzurunden. Entscheidend bleiben die Angaben des LLB. Ist die Situation vor Ort so wie beschrieben, besser oder schlechter? Wenn etwa in einem Lawinenstrich die Lawine bereits abgegangen ist, ist die Situation deutlich entspannt. Dadurch kann ein Hang befahrbar werden, der lt. Lagebericht eigentlich rot ist.
Auch bei der Entscheidung im Einzelhang ist die Gruppensituation zu berücksichtigen: Wenn die Schneedecke nicht übermäßig belastet werden darf müssen alle so Ski- oder Snowboard fahren können, das sie nicht stürzen. Können sie das nicht, gab es einen Fehler in der Tourenplanung. Anderes Beispiel: Bei Entlastungsabständen im Aufstieg wird gern „aufgelaufen“. Wer ist schon gern allein. Jeder muss den Abstand zum Vordermann bzw. zur Vorderfrau halten.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Die gewonnenen Erfahrungen sollten in die neue Tourenplanung einfließen, auch wenn sie unter Schmerzen, etwa durch Konflikte („Du läufst ja schon wieder auf“ – „kümmer Dich um Deinen eigenen Scheiß“) gemacht wurden. Eine Gruppe ist mehr als die Summe Ihrer Teile! Für gelingende Kommunikation braucht es ein Maß an Offenheit und sozialer Kompetenz, mit dem sowohl Privatgruppen als auch ehrenamtlich (Alpenverein) oder kommerziell (Bergführer) geführte Gruppen oft überfordert sind. Dies ist nach meiner Überzeugung viel öfter die Ursache fahrlässigen Verhaltens als mangelnde Ausbildung oder unzureichendes persönliches Können. Deshalb befasst sich der letzte Teil dieser Serie mit dem „sozialen Risikomanagement“. Er erscheint Anfang Februar. Bis dahin wünsche ich wie immer allen schöne Touren!