Alpines Wandern auf dem Sentiero Roma im Bergell

Granit, Sonne, Wasser und Grappa

Bergpanorama in Bergell

Bergpanorama in Bergell

Diese vier Elemente sind die Eckpfeiler, welche das Lebensgefühl im italienischen Bergell ausmachen. Warum also lange darum herum reden? Man hat den Eindruck, das sämtliche Kultur und Natur aus dem mediterranen Raum über die Jahrtausende hier hinauf gekrochen ist und eben nicht von den Schlickgestaden der Nordsee. Dieses südliche Gefühl in Fauna und Gemüt geht mit dem himmelsnahen Hochgebirge eine Mischung ein, die es in sich hat.

Bergeller Berge im Frühsommer von Süden

Bergeller Berge im Frühsommer von Süden

Paul Nigg schreibt dazu ganz lakonisch im Alpenvereinsführer: „Südwestlich der Berninagruppe erheben sich Berge, die sich durch ihren Fels und ihre Formen von allen anderen Gebirgsgruppen der Alpen unterscheiden“. Wir sind im Südwesten der Alpen, im Grenzgebiet Schweiz-Italien. Das Val Bregaglia ist das Tal der oberen Mera, zwischen dem Malojapass (welcher das Engadin abschließt) und Chiavenna, nicht weit vom Comer See. Die alpine Quintessenz, das sind die gigantischen, wunderbar geformten und angemessen benamten Berge der Bondasca, man lese laut: Pizzo Badile (3308m), Pizzo Cengalo (3370m), Cima della Bondasca ((3289m) und Cima di Castello (3392m). All diese Berge, von der schweizer Seite wohlbekannt unter Alpinisten, haben auch einen Südhang, um den es hier gehen soll. Er erstreckt sich grob von Morbegno im Valtellino (Richtig! Hier kommt er her, der Veltliner) über das sich verzweigende Val Masino mit dem Hauptort San Martino. San Martino, das ist Klein-Kathmandu: Knatternde Vespas, Lottogeschäfte, bunten Fliegenvorhänge, italienische Großfamilien, aber eben auch Wanderer und Kletterer jeglicher Couleur treffen sich hier und versorgen sich mit allem was sie brauchen werden und entbehrten – von der Strickleiter für technische Kletterpassagen bis zur duftenden Pizza.

Frühstück in den Bergeller Bergen

Frühstück in den Bergeller Bergen

Zur Einstimmung empfiehlt sich eine Übernachtung in der Bar San Martino. Auch wenn der Name Bar nicht gerade Kost und Logis verheißt gibt es dort schöne Zimmer und ein relativ ordentliches Frühstück zu günstigen Preisen. Relativ – hier sind wir beim einzigen Manko, den das Bergell mit allen anderen Orten auf italienischem Boden teilt: trockenes Weißbrot, Marmelade, Kaffeelatte – hier ist ein Funken teutonische Arroganz angebracht, finde ich. Wir können Brot, wir können Frühstück!

Von San Martino geht es nach Bagni di Masino, einer Terme mit Hotel. Der Zauberberg wäre noch morbider geraten, hätte Thomas Mann hier logiert. Die Therme ist Ausgangspunkt des Sentiero Roma, einer gehobenen Durchquerung (was gehoben heißt, dazu später) dieser Region, die sich in 4-8 Tagen, je nach Variante, durchführen lässt. Zur Therme verkehrt ein regelmäßiger und meist pünktlicher Bus von Morbegno über San Martino. Auch eingefleischte Automobilisten sollten diesen benutzen, das das Parken an der Therme sehr teuer ist und man nach der beschriebenen Rundtour wieder unten in San Martino ankommt. Von der Therme steigt man entweder zum Rifugio Omio oder direkt zum Rifugio Gianetti am Fuße des Badile auf (im Sommer früh aufbrechen um der Hitze zu entgehen). Alle Hütten sollte man reservieren, besonders in der Hauptsaison. Telefonnummern gibt es bei Google. Die meisten Wirte sprechen nur italienisch, wer dem nicht mächtig ist braucht etwas Geduld. Markant beim ersten Aufstieg ist das viele Wasser, welches überall spektakulär hinunter stürzt. Hier im harten Urgestein kann es nicht versickern wie im Kalk, der meist auf der Alpennordseite anzutreffen ist. Deshalb hat man auch im Hochsommer, wo es hier selten regnet (und wenn, dann allerdings richtig!), meist Wasserläufe am Weg.

Der Aufstieg zur Gianettihütte

Der Aufstieg zur Gianettihütte ist etwas länger. Ferner verpasst man die erste Drahtseilpassage zwischen den beiden Hütten, welche ein guter Test ist für die weiteren, die folgen werden. Doch was bedeutet Drahtseilpassage? Es ist doch eine Wanderung, keine Kletterei! Beim Sentiero muss man einmal aufsteigen (ca. 1200 Höhenmeter, welche durchschnittliche Wanderer in ca. 4 Stunden bewältigen) und bleibt dann immer auf einer „Reiseflughöhe“ mit phantastischer Aussicht. Jedes Hochtal, das man dabei durchquert, wird jedoch von einer felsigen Gratrippe abgeschlossen. Diese gilt es jeweils zu überqueren, man findet dort genau genommen keine Drahtseile, sondern dicke Ketten, die viel besser in der Hand liegen. Es ist meist Gehgelände, wo man stellenweise die Hände zur Hilfe nimmt. Aber steil und ausgesetzt, sprich „luftig“. Klettern können muss man nicht, im rauhen Granit kommt man auch mit normalen Trekkingschuhen gut klar, aber schwindelfrei sollte man sein! Für Neulinge oder unsichere Geher gehört auch eine Sicherung (Klettergurt, Klettersteigset oder Bandschlinge mit verschlussgesichertem Karabiner) dazu. Trotz des festen Gesteins sollte in diesen Passagen auch ein Helm getragen werden, weil er bisweilen in Serpentinen geführt ist und sich dann Leute über einem befinden können. Der Sentiero Roma ist durchgehend markiert (weiß-rot-weiß am Fels plus gelbe Hinweisschilder). Die Zeitangaben passen für sportliche Geher. Wer zwischen Omio- und Gianettihütte deutlich länger braucht als angegeben oder sich im steilen Gelände unwohl fühlt, sollte nicht weiter gehen. Denn die beiden folgenden Etappen zur Allievi- und zur Pontihütte sind die längsten. Gruppen brauchen hier zwischen 8 und 10 Stunden. Auch die versicherten Passagen sind länger. Aber: Auch das Bergellerlebnis wird tiefer. Und der Grappa schmeckt von Hütte zu Hütte besser. Komisch.

Nach der Pontihütte ist das Kernstück des Weges geschafft. Man kann hier problemlos absteigen, bis nach San Martino (sehr lang!) oder nur bis Preda Rossa, ab hier kann man die restliche Strecke mit dem Taxi zurücklegen. Enrica in der Bar San Martino hat die Nummer. Die Knie werden es danken. Läuft man weiter, geht es über den Passo die Corna Rossa zur wirklich paradisisch gelegenen und wunderbar geführten Bosiohütte. Schon von der Pontihütte sieht man deutlich einen markanten geologischen Schichtwechsel: Der helle Granit endet übergangslos, ab dem Pass sind die Berge aus rotem Schiefer, was dem Gebirge ein ganz anderes Gesicht gibt. Von der Bosiohütte kann man nach Chiesa absteigen oder über den Passo di Caldenno zur neu errichteten Alpe Granda (neue Karten kaufen, da ist sie drauf!), von wo man wieder nach Cataeggio nahe San Martino absteigen kann. Sehr elegant. Wer in San Martino wieder eintrifft, schmutzig und wettergegerbt, dem wird die Pizza schmecken wie noch nie. Ich glaube, vom Grappa sprach ich schon.

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1 Kommentar

  1. Hallo Hr. Dr. Bach, ich habe mit Begeisterung ihren Bericht über den sentiero Roma gelesen. Da ich an pfingsten im Val di Mello sein möchte, kann ich mit gut vorstellen, den Sentiero zu laufen. Leider finde ich nirgends Angaben über die beste wanderzeit, Schneeverhältnisse. Kann man dort schon an pfingsten wandern oder liegt noch Schnee. Über eine Antwort und Tips würde ich mich sehr freuen. Liebe Grüße
    Daljit